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"Müssen wir wirklich das ganze Land stilllegen?" - Interview des "Wochenendspiegels" mit Marco Wanderwitz

ES IST SCHWER, VORSORGE MEHRHEITSFÄHIG ZU MACHEN

Marco Wanderwitz

WochenENDspiegel-Gespräch mit Marco Wanderwitz (CDU, MdB) über Wahlen, Corona, Bevölkerungsschutz und seine Erfahrungen als Ostbeauftragter der Bundesregierung. Foto: CDU

Von Sven Günther
Region. Im Bundestag wird abgestimmt, der Haushalts-Ausschuss tagt, der CDU-Chef-Wahl-Parteitag vorbereitet, Corona sorgt für Dauerstress. Marco Wanderwitz, der Ostbeauftragte der Bundesregierung und CDU-Bundestagsabgeordneter aus Stollberg nahm sich trotzdem die Zeit, gab dem WochenENDspiegel folgendes Interview.

WOCHENENDSPIEGEL:
Sie kandidieren am Wochenende für einen Sitz im Bundesvorstand der CDU. Ginge es nach Ihnen, sollte der nächste Bundeskanzler aber nicht von Ihrer Partei gestellt werden. In „DER WELT“ machen Sie sich für CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidat stark. Haben Sie kein Vertrauen ins eigene Personal?

MARCO WANDERWITZ:
Die CDU und CSU sind eineiige Zwillinge. Markus Söder macht einen top Job als bayerischer Ministerpräsident, unserm Nachbarfreistaat. Die CSU, deren Vorsitzender er ist, steht mit der CDU fest in der Mitte des demokratischen Parteienspektrums. Beide Parteien haben eine hohe Zukunftskompetenz.
Aber wir haben natürlich auch in der CDU viele gute Frauen und Männer. Wir werden im Frühjahr entscheiden, wer für Angela Merkel bei der Kanzlerkandidatur nachfolgt und ein gemeinsames starkes Wahlprogramm vorlegen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wird es überhaupt zu einer regulären Wahl kommen können? Die Kandidaten müssen laut Gesetz in Präsenzparteitagen gewählt werden, im Wahlkampf muss man auf die Menschen zugehen. Schwierig in Zeiten der Corona-Pandemie…

MARCO WANDERWITZ:
Der rein digitale Parteitag ist speziell, so wie es derzeit auch die parlamentarische Arbeit und die Bürgerkontakte sind. Nichts ist „regulär“ in dieser Pandemie. Eine riesige Herausforderung. Aber wir sind auf gutem Weg, dass es im Sommer weitgehend vorbei seien könnte. Für die Bundestagswahl bin ich also insoweit unbesorgt. Der Weg aus der Pandemie ist das Impfen. Was ein Wunder, was eine großartige Leistung, dass wir nach weniger als einem Jahr wirksame Impfstoffe haben!

WOCHENENDSPIEGEL:
Corona ist und bleibt das alles überlagernde Thema. Inzwischen mehren sich die Stimmen aus der Wirtschaft, die die Maßnahmen der Bundesregierung kritisch sehen. (https://www.wochenendspiegel.de/ihk-und-hwk-kritisieren-lockdown-plaene/ und https://www.wochenendspiegel.de/doppel-tests-fuer-pendler-handwerker-schimpfen-auf-regierung/)
Die Zahlen scheinen den Kritikern recht zu geben. Fakt ist, dass deutlich weniger als ein Prozent der Bundesbürger erkrankt sind. Fakt ist auch, dass 90 Prozent der erkrankten Menschen im Rentenalter sind. Wäre es nicht zielführender, mit aller Macht und allen Ressourcen diese, wirklich bedrohlich betroffene, Gruppe von Menschen zu schützen, statt das ganze Land stillzulegen?

MARCO WANDERWITZ:
Mittlerweile ist leider auch die sogenannte Übersterblichkeit da. Ja, es stimmt, dass vielfach Ältere betroffen sind. Aber das sind Omas und Opas, die noch Jahre vor sich hätten.
Es ist völlig illusorisch, viele Millionen von Menschen so schützen zu können, dass ihnen nichts passieren kann. Die Risikogruppe ist einfach viel zu groß. Natürlich gilt es, sie bestmöglich zu schützen. Isolieren kann und sollte man sie aber nicht.
Wir alle müssen uns zusammenreißen, damit die Pandemie möglichst wenig Menschenleben fordert. Deshalb gibt es sinnvollerweise Einschränkungen. Ob der pandemischen Entwicklungen der letzten Wochen gerade wieder einmal mehr, insbesondere in Sachsen.
Ja, das ist eine große Herausforderung auch für die Volkswirtschaft. Weltweit. Wir kommen besser als die meisten durch diese Krise was die Wirtschaft betrifft. Weil wir uns viele Hilfen leisten können als Gesellschaft. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie auch für die Unternehmen. Die Hilfen kommen auch an, weit mehrheitlich. Leider dominieren die Fälle, wo es klemmt, die Berichterstattung und die sozialen Netzwerke. Wir arbeiten mit Hochdruck, schließlich geht es um Existenzen.

WOCHENENDSPIEGEL:
Im Interview mit der Freien Presse sprachen Sie von der Notwendigkeit, stärker vorzusorgen. In Deutschland gibt es seit 2001 das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. 344 Mitarbeiter. Jahresetat 170 Millionen Euro. Was hat man dort getan?
Hätte man nicht Masken, Schutzkleidung, Intensivbetten in ausreichender Zahl bereithalten und Bundeswehrsoldaten so ausbilden müssen, dass sie im Bedarfsfall als Intensivpfleger aktiviert werden können? Das Bundesamt gibt es ja u.a. genau deshalb, weil man damit rechnen konnten, dass eine Pandemie Deutschland erreicht.

MARCO WANDERWITZ:
In „Friedenszeiten“ ist es immer schwer, Vorsorge mehrheitsfähig zu machen. Vorsorge kostet Geld. Geld, das – wenn nichts passiert – keinen Nutzen hat. Deshalb kommt dann immer die Debatte, ob das denn sein muss. Könnte man ja für Schulen, Straßen und Forschung ausgeben. Es ist sehr lange nichts wie Corona passiert. Ich denke, wir haben jetzt alle offenere Augen, dass künftig wieder mehr Vorsorge sein muss. Diese müssen wir uns leisten wollen. Ich werbe dafür.

WOCHENENDSPIEGEL:
Lassen Sie sich impfen?

MARCO WANDERWITZ:
Ja, natürlich. Ich habe alle empfohlenen Impfungen, lasse mich auch jährlich gegen Grippe impfen. Um mich zu schützen und meine Mitmenschen. Ich habe großes Vertrauen in unser Gesundheitswesen und auch die Arzneimittelzulassungsverfahren und -behörden. Ich hätte mich auch direkt impfen lassen, wenn wir den Weg gewählt hätten, dass die Politiker vorangehen sollen, wie bspw. in den USA. Ich halte aber unseren Weg für richtig. Ich möchte keiner 90-jährigen die Impfung verbauen. Also bis auf Weiteres konsequent Abstand, Maske, Handhygiene, Warn-App.

WOCHENENDSPIEGEL:
Wie ärgerlich ist es, dass es bei der „schnellen und unbürokratischen“ Auszahlung von Überbrückungshilfen zu solchen Problemen kommt?

MARCO WANDERWITZ:
Ärgerlich. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Aber es ist nicht so schlimm, wie teilweise dargestellt. Bei den November- und Dezemberhilfen bspw. haben wir weit über 90 Prozent der hunderttausende Anträge bereits mit monatlichen Abschlägen von bis zu 50.000 Euro ausgezahlt. Es gibt nun einmal auch fehlerhaft gestellte Anträge, und es gibt auch Missbrauch. Wir müssen schon genau hinschauen, es ist ja Steuergeld.

WOCHENENDSPIEGEL:
Sie sind jetzt knapp ein Jahr Ostbeauftragter der Bundesrepublik. Welche Erfahrungen haben Sie und wie lange wird es diese Position noch geben?

MARCO WANDERWITZ:
Der Wechsel aus dem Innen- ins Wirtschaftsministerium Tage vor Corona, also mitten in die Krise hinein, brachte für mich ein herausforderndes Jahr. Ich bin im BMWi für die Europapolitik, den Außenhandel und die neuen Länder zuständig. In Zeiten gestörten Welthandels, der deutschen EU-Ratspräsidentschaft incl. Brexit und dem Einheitsjubiläum. „Neben“ Corona.
Wir haben viel geschafft in den drei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung. Aber es liegt auch noch ein Stück Weg vor uns, bis wir das Ziel gleichwertige Lebensverhältnisse erreicht haben.
Insbesondere die 1990er waren harte, herausfordernde Jahre, die viele Menschen an die Grenzen des Leist- und Ertragbaren gebracht haben. Aber wir haben viel erreicht, haben dabei viel innerdeutsche Solidarität erfahren.
Gemeinsam mit dem langjährigen brandenburgischen Ministerpräsident Matthias Platzeck habe ich dieses Jahr eine Kommission geleitet, die neue Ideen für die nächsten zehn Jahre gesucht und gefunden hat. Dabei war bspw. auch unser südwestsächsischer IHK-Präsident Dieter Pfortner. Eine gute Idee als Beispiel: Ein ostdeutsches Begabtenförderungswerk.
Meine Prognose, was den Beauftragten betrifft: Beim nächsten runden Einheitsjubiläum gibt es die Position sicher nicht mehr.