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Sachsens CDU-Spitzenkandidat Wanderwitz: "Ich würde Herrn Maaßen nicht in ein Parlament wählen"

„Ich würde Herrn Maaßen nicht in ein Parlament wählen“

Freie Presse |Chemnitzer Zeitung | 11. Mai 2021 | Seite 4


Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz über den Wahlkampf, die Werteunion und die Rolle von Personen

BERLIN - Für seine CDU erwartet der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz einen komplizierten, zweigeteilten Bundestagswahlkampf: Im Westen seien die Grünen der Hauptgegner, im Osten sei es die AfD, sagt der parlamentarische Staatssekretär. Katja Bauer, Norbert Wallet und Tino Moritz haben mit ihm gesprochen.

Freie Presse: Herr Wanderwitz, die Nominierung von Hans-Georg Maaßen als Direktkandidat der CDU in einem südthüringischen Wahlkreis hat gezeigt, wie unterschiedlich Ost- und West-CDU ticken. Finden Sie, dass Maaßen Standpunkte abdeckt, die in der Union ihren Platz haben?

Marco Wanderwitz: Teilweise vertritt er Positionen, die innerhalb des Bogens christdemokratischer Haltungen sind. Ich teile sein nationalkonservatives Denken nicht, aber das hat seinen Platz in der CDU. Allerdings vertritt er eben auch Ansichten, die ich klar außerhalb der Christdemokratie verorte. Er redet Verschwörungstheorien das Wort. Ich habe auch seine Beiträge zur Frage nicht vergessen, ob es in Chemnitz zu Hetzjagden kam, und seinen Umgang mit der AfD als Verfassungsschutzpäsident. Ich sehe bei ihm eine Mischung aus Zündelei und groben Fehleinschätzungen, die problematisch ist.

Würden Sie ihn als CDU-Direktkandidaten wählen, wenn Sie in diesem Wahlkreis lebten?

Ich würde Herrn Maaßen nicht in ein Parlament wählen.

„Mit einem taktischen Rechtsruck würde die Union viel mehr in der Mitte verlieren, als sie am rechten Rand einsammeln könnte.“

Wirft das Thema nicht ein Schlaglicht darauf, wie unterschiedlich Ost und West auch innerhalb der Union ticken?

Richtig ist, dass wir einen zweigeteilten und komplizierten Wahlkampf haben werden. In den alten Ländern konkurriert die Union vornehmlich mit den Grünen, im Osten ist vor allem die AfD der Gegner. Dazu kommt, dass innerhalb des Ostens in den Großstädten die Lage eher der im Westen ähnelt.

Macht sich die Union nicht gerade in der Konkurrenz zur AfD unglaubwürdig, wenn sie sich nicht klar abgrenzt gegenüber Personen wie Maaßen, Max Otte oder der Werte-Union?

Die SPD hat ja mit Herr Sarrazin die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, Leute aus der Partei zu werfen. Bevor man sich etwa mit Herrn Otte, den mit der CDU natürlich nichts mehr verbindet außer, dass er noch Mitglied ist, in einen langen Abnutzungskampf begibt, würde ich diese Sache laufen lassen, irgendwann wird er uns dann hoffentlich von selbst verlassen. Das gilt auch für manche, aber nicht alle Mitglieder der Werte-Union. Da gibt es auch viele aufrechte Konservative, die sich als Christdemokraten verstehen. Natürlich ist die Sache problematischer, wenn es sich um einen Bundestagskandidaten handelt. Einen von 299 allerdings. Der nominiert worden ist, was ich anerkenne. Mich macht es freilich auch ein Stück weit sprachlos, wie man, wo doch vielfach zu Recht eine angemessenere Repräsentanz der Ostdeutschen im öffentlichen Leben gefordert wird, 30 Jahre nach 89/90 einen neuen, so umstrittenen West-Import aus Mönchengladbach nach Südthüringen holt. Ich hätte mir gewünscht, man hätte auf den bayerischen Ratschlag dazu gehört.

Was halten Sie denn grundsätzlich von dem Konzept, als CDU nach rechts zu rücken, um der AfD das Wasser abzugraben?

Alle Wahlen der vergangenen Jahre haben uns gezeigt, dass Schiffbruch erleidet, wer die AfD rechts überholen will. Es ist auch eine Legende zu glauben, dass die AfD-Klientel aus kürzlich übergelaufenen CDU-Wählern besteht. Ein großer Teil der AfD-Anhänger wählen aus Überzeugung eine rechtsradikale Partei. Viele andere kommen aus dem Lager der langjährigen Nichtwähler, sind von der freiheitlichen parlamentarischen Demokratie tief enttäuschte Menschen. Ich glaube nicht, dass das Gruppen sind, die für die Union mal eben gewinnbar wären. Mit einem taktischen Rechtsruck würde die Union viel mehr in der Mitte verlieren, als sie am rechten Rand einsammeln könnte. Unabhängig davon sehe ich durchaus die Notwendigkeit für die CDU, an manchen Stellen klarer zu werden. Zum Beispiel sollte es im Bereich der inneren Sicherheit rechts von uns keine demokratische Position geben. Davon bin ich aber inhaltlich und unabhängig von der AfD überzeugt.

Im Osten sagen bei allen Studien viel mehr Menschen, dass sie sich auch ein anderes System als die repräsentative parlamentarische Demokratie vorstellen können. Welche Erklärung haben Sie für diese Demokratieverachtung?

Da spielen viele Faktoren hinein: Die friedliche Revolution war jedenfalls nicht von einem einheitlichen Bild getragen, was danach kommen soll. Dann die sehr schwere lange Phase der Transformation, von der nicht wenige Menschen für sich sagen, dass es keine Erfolgsgeschichte gewesen ist. Die damals subjektiv erfahrene mangelnde Wertschätzung der Lebensleistung hat eine fatale Langzeitwirkung. Und es gibt Menschen, die sehen, dass Demokratie auch heißt, dass nicht alles nach ihrem Gusto geht – und das dann dem System anlasten, es ablehnen. Manche AfD-Parteigänger werfen mir mit leuchtenden Augen entgegen: Warte nur ab, wir werden dich abwählen. Da sind sie sich ganz sicher, denn in ihrer Blase sagen das ja alle. Dann erfahren sie regelmäßig, dass sie nicht in der Mehrheit sind. Ab 1990 hatten wir zwar Grundgesetz und D-Mark, aber es mangelte an politischer Bildung. Aus diktatursozialisierten Menschen werden nicht in allen Fällen autodidaktisch Demokraten. Siehe auch Polen und Ungarn beispielsweise. Das hätte man wissen können.

Ein Versäumnis der CDU?

Absolut. Auch der CDU. Wie es auch ein Versäumnis der sächsischen CDU war, viel zu spät harten rechtsradikalen Umtrieben und dem immer weiteren Ausmäandern in die Breite der Gesellschaft hinein deutlicher entgegenzutreten.

Liegt in Ihrer Erklärung auch der Schlüssel dafür, warum im Osten offenbar der Politikertyp des vermeintlich harten Machers so beliebt ist? Im Falle der CDU: Söder und Merz kommen besser an als Armin Laschet.

Ja, schon. Hier im Osten ist ein Stück weit weniger gefragt, der Manager eines Ensembles zu sein. Man bevorzugt Chefdirigenten.

Die Klimapolitik wird eine entscheidende Rolle im Wahlkampf spielen. Wie wirkt sich das im Osten aus?

Im Westen ist das ein gesamtgesellschaftliches Thema. Im Osten ist es stärker für jüngere Menschen ein zentrales Anliegen. Im Osten wird mit der Klimapolitik zudem stärker das Thema Strukturwandel verbunden. In der Lausitz und im mitteldeutschen Revier besteht eine große Sorge, dass die Menschen nun zum zweiten Mal einen gigantischen nicht nur gelingenden Strukturumbruch erleiden müssen. Die Union muss es schaffen, klimapolitische Notwendigkeiten mit tragfähigen wirtschaftlichen Perspektiven für die Zukunft zu verbinden, Ökologie und Ökonomie zu versöhnen.

Was erwarten Sie von den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt?

Wir werden wohl leider wieder ein relativ starkes AfD-Ergebnis sehen. Aber wir stellen als CDU mit Reiner Haseloff einen erfolgreichen Ministerpräsidenten. Im Osten sind Wahlen noch stärker als im Westen Personenwahlen. Deshalb glaube ich, dass die CDU stärkste Kraft werden wird. Und eine Regierungsbildung wird weiterhin im unzweifelhaft demokratischen Spektrum möglich sein. Dafür kämpfen wir.

Für die sächsische AfD scheinen Sie ein Lieblingsfeind zu sein. Wie bekommen Sie diese Rivalität im Alltag zu spüren?

Ich merke, dass die keine Gelegenheit auslassen, mich namentlich zu nennen und als „Feind des Volkes“ darzustellen. Das tue ich umgekehrt nicht. Mir geht es nicht um Herrn A oder B, sondern darum, eine rechtsradikale Partei zu stellen. Ich bekomme für meinen Kurs der klaren Kante viel Zuspruch – auch von außerhalb meiner Partei. Die AfD will meinen Wahlkreis gewinnen? Sollen sie es versuchen. Ich habe zu Hause inzwischen fünfmal direkt gewonnen, bin gut verwurzelt. Es wird in Südwestsachsen keine Mehrheiten für Rechtsradikale geben, Gott sei Dank.

Werden Sie bedroht?

Ja, das passiert leider regelmäßig. Gerade erst habe ich eine Geschichte zur Anzeige gebracht. Da hat jemand mit Klarname geschrieben: Wir kennen Ecken, wo man dich nicht finden wird. Das ist inzwischen fast Tagesgeschäft. Wer das zu sehr an sich heran lässt, muss aufhören mit der Politik. Und leider sind schon viel zu viele diesen Weg gegangen. Ich will den Spaltern und Pöblern unser Land nicht überlassen. Aber schön ist das trotzdem nicht, und es macht auch müde.ktb/waln/tz

Bildtext: Er bekomme für seinen Kurs der klaren Kante gegen die AfD viel Zuspruch, sagt Marco Wanderwitz (CDU), der Ostbeauftragte der Bundesregierung. FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA